BFH teilt Bedenken gegen die Höhe der Steuerzinsen (Update)

In einem aktuellen Beschluss teilt der BFH die Bedenken gegen die hohen Steuerzinsen von jährlich 6 %.

Gegenwärtig wird allenthalben diskutiert, ob die Steuerzinsen nach § 238 AO von 6 % pro Jahr in Anbetracht des bereits seit längerem äußerst niedrigen Zinsniveaus nicht als völlig überhöht anzusehen sind. Intuitiv würde diese Frage wohl ein Jeder bejahen, insbesondere wenn er von dem Zinssatz – etwa aufgrund einer zu verzinsenden Steuernachforderung – unmittelbar betroffen ist. Gleichwohl haben die Finanzgerichte entsprechende Klagen bislang unisono abgewiesen. In einem aktuellen Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) teilt dieser jedoch die Bedenken gegen die hohen Steuerzinsen und erkennt insoweit einen Verstoß gegen verfassungsrechtlich verbürgte Grundprinzipien. Es sollte daher unbedingt erwogen werden, gegen noch offene Zinsfestsetzungen (oder den Vorbehalt auf solche) rechtlich vorzugehen.

Zum Hintergrund:

Die hohe Verzinsung von Steueransprüchen führt in praxi regelmäßig zu enormen und zuweilen gar erdrosselnden Nachzahlungspflichten. So hat etwa ein früherer Gewinner einer TV-Spielshow seinen dort erzielten Projektgewinn von 1 Mio. Euro, den er zunächst steuerfrei wähnte, später nachversteuern müssen. Der Fall hatte schließlich sogar den BFH  erreicht (Az. IX R 6/10), welcher die Auffassung der Finanzverwaltung über die Steuerpflicht des Gewinns bestätigte. Die Nachzahlung belief sich aufgrund der (über mehrere Jahre, bis zum Abschluss des Steuerstreitverfahrens akkumulierten) Verzugszinsen auf über 700.000 Euro und zwang den Steuerpflichtigen zur Beantragung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens („Privatinsolvenz“).

Bislang haben die Steuergerichte indes die Bedenken gegen den doch sehr hoch erscheinenden Zinssatz nicht geteilt. So hat der BFH in Gestalt seines III. Senats kürzlich festgehalten, die Höhe der Nachforderungszinsen verstoße weder gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Übermaßverbot. Er lehnte daher auch in dem das Jahr 2013 betreffenden Streitfall eine Vorlage an das BVerfG ab, vgl. BFH, Urt. III R 10/16 v. 9.11.2017. Auch die Finanzgerichte Münster und Köln haben zuletzt gegen den hohen Zinssatz – betreffend die Jahre 2014 und 2015keine Bedenken geäußert, vgl. FG Münster, Urt. 7 K 715/15 E v. 13.12.2017 (vorläufig nrkr.); FG Köln, Urt. 1 K 3648/14 v. 27.4.2017, (Rev. zugelassen, dennoch rkr.) sowie FG Münster, Urt. 10 K 2472/16 E v. 17.8.2017 (Rev. unter Az. III R 25/17 anhängig). Selbst für das Jahr 2016 sah das FG Berlin-Brandenburg den Zinssatz von 6 % als unbedenklich an, vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urt. 6 K 6258/16 v. 14.11.2017, (Rev. unter Az. IX R 42/17 anhängig).

Das FG Köln hat unlängst auch einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der nach § 238 AO festgesetzten Zinsen (von im Streitfall immerhin 240.831 Euro) bis zu einer Entscheidung über die Verfassungskonformität der Steuerzinsen abgelehnt, vgl. FG Köln, Urt. 15 V 3279/17 v. 29.1.2018. Auch das FG Sachsen hatte kurz zuvor einen Zinsverzicht aus Billigkeitsgründen abgelehnt, vgl. das Urt. 5 K 221/16 v. 27.9.2017.

Nunmehr hat der BFH in Gestalt seines IX. Senats jedoch einer gegen das vorzitierte Urteil des FG Köln eingelegten Beschwerde stattgegeben, vgl. Beschluss IX B 21/18 v. 25.4.2018. Der BFH begründete die Stattgabe damit, dass gegen die Höhe der Nachforderungszinsen schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, da der Zinssatz „der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße“ entbehre. Der erkennende Senat erblickte daher einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot und Übermaßverbot. Es steht zu erwarten, dass diese Verfassungsfrage demnächst dem BVerfG vorgelegt wird.

Beraterhinweis:

Falls nicht bereits geschehen, sollte nunmehr ernstlich erwogen werden, gegen erlassene Zinsbescheide rechtlich vorzugehen bzw. in Vorbehaltsfällen Änderungsanträge zu stellen.

Update:

Zwischenzeitlich hat sich die Finanzverwaltung in Gestalt des BMF mit Schreiben vom 14.6.2018 zu dem vorzitierten Beschluss IX B 21/18 geäußert. Danach ist in Rechtsbehelfsfällen gegen Festsetzungen von Steuerzinsen ab dem 1.4.2015 Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Das BMF äußert sich bedauerlicherweise jedoch weder zu der Möglichkeit einer nach § 165 AO vorläufigen Zinsfestsetzung noch wird die Gewähung der AdV auch für Zeiträume vor dem 1.4.2015 zugelassen.