Hintergrund: Die EU-Kommission hatte bereits im Januar 2011 entschieden, dass die sog. Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG eine unzulässige Beihilfe darstelle. Dies wurde nachfolgend in erster Instanz durch das Gericht der Europäischen Union (EuG) bestätigt. Die Regelung sollte Unternehmen in qualifizierten Sanierungsfällen die Nutzung bestehender Verlustvorträge auch nach dem Einstieg neuer Investoren ermöglichen. Mit den vorgenannten Entscheidungen wurde angeschlagenen Unternehmen die Aufnahme neuer Anteilseigner erheblich erschwert und nicht selten gar unmöglich gemacht. Denn bei einem Anteilseignerwechsel zwischen 25 und 50 % bzw. über 50 % würden bei der Gesellschaft bestehende Verluste nach § 8c Abs. 1 KStG quotal bzw. vollständig untergehen, was die Attraktivität solcher Unternehmen für potenzielle Investoren deutlich einschränkt.

Zwischenzeitliche Entwicklungen: Als Reaktion auf die Entscheidung 2 BvL 6/11 des BVerfG vom 29.3.2017 zu § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG soll diese Norm nunmehr für Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2007, also seit Geltung der Norm, und vor dem 1.1.2016 für nichtanwendbar erklärt werden. Dies sieht der Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2018 vor, den das BMF unlängst vorgelegt hat. Dadurch führten nur noch Anteilsübertragungen von mehr als 50 % zu einem – dann jedoch vollständigen – Verlustuntergang.

Kritische Stellungnahme: Unseres Erachtens ist auch der einen vollständigen Verlustuntergang regelnde Satz 2 des § 8c KStG verfassungsrechtlich zumindest bedenklich. Ebenso ist äußerst zweifelhaft, ob die Einführung von § 8d KStG (gültig ab dem 1.1.2017) zu einer Heilung der Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG geführt hat. Betreffend Satz 1 besteht somit auch für Veranlagungszeiträume nach 2016 und betreffend Satz 2 generaliter große Unsicherheit auf Seiten der Rechtsanwender, vgl. zu alldem ausführlich Kessler/Egelhof/Probst, DStR 2017, 1289 und 2377 sowie Mirbach, kösdi 2017, 20330 ff. und BB 2017, 2663.

Mit Bedauern ist daher festzustellen, dass der Gesetzgeber allem Anschein nach die Gelegenheit verstreichen lassen wird, insgesamt für eine verfassungskonforme und rechtssichere Neuregelung zu sorgen.

Entscheidung des EuGH: Betreffend die Sanierungsklausel hat der EuGH nunmehr mit Urteil vom 28.6.2018 (Rs.: C-203/16 P u.a.) das erstinstanzliche Urteil des EuG aufgehoben und zugleich den Beschluss der Kommission aus dem Jahre 2011 für nichtig erklärt. Das oberste europäische Gericht schloss sich damit dem Generalanwalt an, der zuvor festgestellt hatte, dass das erstinstanzliche Urteil „kein Musterbeispiel an Klarheit“ darstelle.

Beratungshinweis: Die Sanierungsklausel ist für den Einstieg neuer Kapitalgeber in defizitäre Kapitalgesellschaften von erheblicher Bedeutung, da frühere Verluste der Gesellschaft nach einem Turnaround weiterhin nutzbar bleiben. Da der deutsche Gesetzgeber die Anwendung der Sanierungsklausel ehedem lediglich ausgesetzt hatte, ist sie nun ohne weiteres wieder anwendbar – auch für bereits in der Vergangenheit liegende Fälle. Es sollte daher genauestens geprüft werden, ob in noch offenen Fällen die Voraussetzungen der Sanierungsklausel vorliegen.

Weiterführender Hinweis: Die Entscheidung des EuGH hat im Übrigen wesentliche Bedeutung für die Frage, ob in § 8d KStG, dessen Überprüfung durch die EU-Kommission derzeit noch aussteht, eine unzulässige Beihilfe zu sehen ist. Da der EuGH das zuvor unzutreffend definierte „Referenzsystem“ der deutschen Verlustverrechnung für Kapitalgesellschaften in der Besprechungsentscheidung verworfen hat, stellt § 8d KStG keine Ausnahme von dem Referenzsystem dar.