Grundstücksenteignung ist kein privates Veräußerungsgeschäft
Keine Steuerpflicht tritt ein, wenn der Verlust des Eigentums am Grundstück ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfindet.
I. Sachverhalt
In dem BFH-Urteil vom 23.7.2019 (Az. IX R 28/18, DStR 2019, 2023) hatte der Kläger (Kl.) Anfang der 1990er-Jahre einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem unbebauten Grundstück erworben und im Jahr 2005 die andere Hälfte durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung hinzuerworben. Die beabsichtigte Bebauung erfolgte nicht.
Im Jahr 2008 führte die Stadt X ein Bodensonderungsverfahren durch und erließ einen das maßgebliche Grundstück betreffenden Sonderungsbescheid nach dem Bodensonderungsgesetz v. 20.12.1993 (BGBl. I 1993, 2215). Die zunächst festgesetzte Entschädigung iHv 470.000 € floss dem Kl. im Streitjahr 2009 zu. Gegen die Höhe der Entschädigungszahlung legte der Kl. Widerspruch ein. In dem anschließenden Klageverfahren einigten sich der Kl. und die Stadt X auf eine Erhöhung der Entschädigungssumme von 130.000 €, die in zwei Raten in 2012 und in 2014 an den Kl. ausgezahlt wurde.
Nach einer in 2013 erfolgten Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, die Enteignung des Grundstücks durch die Stadt X stelle bezüglich der 2005 erworbenen Grundstückshälfte ein Veräußerungsgeschäft iSd § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar und erließ entsprechend geänderte ESt-Bescheide. Die hiergegen gerichteten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Der nachfolgenden Klage gab das FG statt.
II. Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Die durch Sonderungsbescheid angeordnete Übertragung des Grundstücks an die Stadt X habe den Tatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 EStG nicht erfüllt. Denn der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung des nämlichen Wirtschaftsguts auf eine andere Person müssten wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen und mithin Ausdruck einer „wirtschaftlichen Betätigung“ sein.
Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, der von einem Veräußerungsgeschäft ausgehe, dh von einem schuldrechtlichen, dem rechtsgeschäftlichen Willen des Steuerpflichtigen unterworfenen Vertrag. Ein solcher liege im Falle einer Enteignung nicht vor.
Diese Auslegung stehe auch mit dem historischen Willen des Gesetzgebers in Einklang, denn § 42 EStG 1925, die Vorgängerregelung des § 23 EStG, habe ausdrücklich keine Steuerpflicht bei Zwangsenteignungen vorgesehen.
Die Behandlung der Zwangsenteignung als privates Veräußerungsgeschäft wäre nur dann kohärent, wenn auch ein dadurch entstehender Verlust bei der Summe der Einkünfte ausgeglichen werden könnte. Dies sei aber durch § 23 Abs. 3 S. 7 f. EStG ausgeschlossen. Die maßgebliche Rechtfertigung dieser Einschränkung bestehe darin, dass der Steuerpflichtige durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts über den Eintritt des Steuertatbestandes frei entscheiden könne, was im Streitfall nicht gegeben sei.
III. Praxishinweis
Die Besprechungsentscheidung offenbart einmal mehr die unterschiedliche Besteuerung von Veräußerungsgeschäften im Bereich der Überschuss- und der Gewinneinkünfte. Der BFH führt in seiner Entscheidung aus, dass sich die streitbefangene Zwangsenteignung im betrieblichen Bereich erfolgswirksam vollzogen hätte. Die Ungleichbehandlung im Privatvermögen wird jedoch nicht weiter problematisiert, sondern schlicht unter Rekurs auf die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 Abs. 3 S. 7 f. EStG als systematisch folgerichtig bezeichnet.
Unter Gleichheitsaspekten ist das vorliegende Ergebnis daher mE unbefriedigend. Es erschließt sich nicht, weshalb durch Zwangsmaßnahmen realisierte (die Leistungsfähigkeit ebenso erhöhende) Wertsteigerungen nicht besteuert werden sollen. Überzeugender wäre hier eine Gleichbehandlung mit derlei Fällen im Betriebsvermögen, die grundsätzlich steuerpflichtig sind (für die jedoch aus Billigkeitsgründen die Bildung einer Rücklage für Ersatz-beschaffung in Betracht kommt – vgl. R 6.6 EStR 2012).
Aus beratungspraktischer Sicht ist das Ergebnis der Besprechungsentscheidung indes zu begrüßen und steht mit Wortlaut und Telos der Norm in Einklang. Der BFH stellt klar, dass die nicht durch einen entsprechenden Handlungswillen des Steuerpflichtigen getragene Realisation von Grundstückswertsteigerungen im Privatvermögen nicht steuerbar ist.
Die Entscheidung deckt sich überdies mit dem bisher teilweise als Sonderfall stigmatisierten „Zwangstausch“, der ebenfalls im Rahmen des § 23 EStG nicht steuerbar ist, vgl. BFH v. 29.3.1995 (X R 3/92, DStR 1995, 1301 mAnm Meegen).