(Keine) Entgeltfortzahlung für nicht geimpfte Arbeitnehmer?

Für Arbeitgeber stellt sich bei einer COVID-19-Infektion eines nicht geimpften Arbeitnehmers die Frage danach, ob diesem ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zusteht, oder mit anderen Worten, ob der Arbeitgeber für einen infektionsbedingten Arbeitsausfall auch noch ein Gehalt weiterzahlen muss, obwohl der Arbeitnehmer durch eine rechtzeitige Schutzimpfung eine Infektion ggf. hätte vermeiden können.

Veröffentlichte Gerichtsentscheidungen existieren hierzu, soweit ersichtlich, bislang noch nicht, und auch die Fachkommentare sind bislang nicht einheitlich.

Das EFZG enthält die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitgeber bei einer Arbeitsunfähigkeit zu einer Entgeltfortzahlung verpflichtet ist: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

Im Mittelpunkt steht somit die Frage, ob der Arbeitnehmer die Infektion schuldhaft dadurch selbst verursacht hat, dass er die mögliche Impfung unterlassen hat. Denn während bis Anfang 2021 noch kein Vakzin für eine Schutzimpfung verfügbar war, stehen Impfstoffe in Deutschland mittlerweile schließlich in ausreichendem Umfang zur Verfügung, die eine hohe Wirksamkeit entfalten. Ein möglicher Einwand gegen eine solche – auf den ersten Blick bestechende – Schlussfolgerung könnte sich allerdings daraus ergeben, dass eine Schutzimpfung mit einem der bislang entwickelten Impfstoffe keine garantierte 100%ige Schutzwirkung entfalten kann. Dementsprechend wurden von dem Robert-Koch-Institut seit der 5. Kalenderwoche 2021 ca. 261.000 Impfdurchbrüche registriert (vgl. wöchentlicher Lagebericht des RKI vom 25.11.2021). Anders ausgedrückt, kann somit selbst nach einer erfolgten Impfung nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass sich der Arbeitnehmer dennoch mit dem Corona-Virus infiziert. Der Arbeitnehmer könnte somit darauf verweisen, dass ihm nicht nachgewiesen werden könne, dass sein Unterlassen auch tatsächlich ursächlich für die Erkrankung geworden ist.

Bei genauerem Blick überzeugt eine solche Argumentation nach unserem Dafürhalten jedoch letztlich nicht: Denn für den Nachweis der Ursächlichkeit bedarf es prozessual keines 100%igen mathematisch-naturwissenschaftlichen Beweises, mithin noch nicht einmal einer „mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich der Richter „mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit“ begnügt, „der etwaigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“ (zuletzt bspw. BGH Urteil v. 18.10.2017 – Az.: VIII ZR 32/16).

Diesen „für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit“, dass die Impfung den Ausbruch der Erkrankung verhindert hätte, wird man auf Basis der veröffentlichten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Corona-Vakzinen und ihrer Wirksamkeit jedoch objektiv und auch ohne verbleibende Zweifel annehmen können. Zwar werden gestiegene Fälle von Impfdurchbrüchen registriert, jedoch nehmen diese auf Basis des RKI-Lageberichts vom 25.11.2021 gerade einmal ca. 0,46% der insgesamt vollständig geimpften Personen in Deutschland in dem Zeitraum seit der 5. Kalenderwoche ein. Die Folge wäre, dass das Unterlassen einer möglichen Impfung mit einem der aktuell zugelassenen Impfstoffe ursächlich für einen Ausbruch der Corona-Erkrankung des Arbeitnehmers anzusehen ist.

In einem weiteren Schritt ist des Weiteren zu prüfen, ob der Arbeitnehmer auch schuldhaft nicht gehandelt hat. Schuldhaft i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt (BAG Urteil v. 18.03.2015 – Az.: 10 AZR 99/14). Verschuldet soll die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sein, wenn ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten vorliegt (BAG a.a.O.).

Hier wird man u.E. folgende Erwägungen zugrunde zu legen haben: Da es sich bei COVID-19 um ein Virus handelt, das allein in Deutschland bereits mehr als 100.000 registrierte Todesopfer gefordert hat und selbst Genesene vielfach unter Langzeitfolgen leiden lässt, wird man bei objektiver Bewertung feststellen müssen, dass die Entscheidung gegen eine Impfung als ein leichtfertiger Umgang mit der eigenen Gesundheit einzustufen ist und in erheblichem Maße von der von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartenden Verhaltensweise abweicht (natürlich immer vorausgesetzt, es liegen keine individuellen anderen gesundheitlichen Merkmale bei dem Arbeitnehmer vor, die eine Impfung aus medizinischen Gründe verhindert haben).

Hinzu kommt noch ein weiteres Argument: Der Gesetzgeber spricht einem (nicht infizierten) Arbeitnehmer, der aufgrund einer behördlich verfügten Quarantäne an seiner Arbeit gehindert ist, grundsätzlich einen Erstattungsanspruch hinsichtlich seines zeitanteiligen Gehalts zu, macht hiervon jedoch dann eine Ausnahme, wenn der Betroffene durch eine Schutzimpfung die Quarantäne hätte vermeiden können (§ 56 Abs. 1 S. 4 InfSG). Hieraus lässt sich somit die Wertung ableiten, dass der Gesetzgeber eine unterlassene Schutzimpfung eines Arbeitnehmers als so fahrlässig einstuft, dass ihm die staatliche Entschädigung verwehrt wird. Es ist daher überzeugend, diese Wertung auch auf die Entgeltfortzahlung nach dem EFZG zu übertragen. Wenn schon das Infektionsschutzgesetz bei einer bloßen Quarantäne eines (nicht erkrankten) Arbeitnehmers einen Entschädigungsanspruch für denjenigen ausschließt, der durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung eine Quarantäne hätte vermeiden können, wäre nicht einsehbar, einen Arbeitnehmer im Bereich einer Entgeltfortzahlung durch einen Arbeitgeber besser zu stellen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt ist.

Nach alledem spricht rechtlich Vieles dafür, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit infolge einer Corona-Infektion selbst verschuldet hat und daher über keinen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber verfügt, wenn er eine Impfung gegen COVID-19 trotz des vorhandenen Impfangebots unterlässt und keine anderen gesundheitlichen Indikationen (bspw. allergische Reaktion, Schwangerschaft usw.) eine Impfung verhindert haben.